Geht’s noch, Oma?!

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Je näher uns die Menschen sind, desto schneller bringen sie uns zur Raserei. Das kann unsere Autorin nur bestätigen (allerdings anonym). Was bei den Festen in ihrer Familie emotional so abgeht, dürfte uns bekannt vorkommen

GANZ NORMALER WAHNSINN

GRUMPY OLD GRANNY
Großeltern legen ihre Vorbildfunktion oft anders aus und sind weniger gehemmt, vor Enkelkindern ihre schlechten Eigenschaften auszuleben, fand eine Studie der Uni Glasgow heraus
FOTO: GUILLE FAINGOLD/STOCKSY

es gibt Menschen in unserem Leben, die wir uns aussuchen können. Freund*innen, Partner*innen, unser Support-System. Und dann gibt es Zwangsgemeinschaften wie Arbeitskolleg*innen – und die Familie. Die ist die Challenge, an der wir wachsen. Das ist zumindest meine Theorie. Schließlich muss es doch irgendeinen tieferen Sinn haben, warum ich mit einem 95-jährigen Mann abhänge, der in Kriegsgefangenschaft war, nicht mehr merkt, wenn er laut furzt, und der mich, eine Single-Frau in ihren Dreißigern, gern fragt: „Und wann heiratest du nu, min lüttn Schietbüdel?“ (Das ist plattdeutsch, heißt übersetzt „Scheißbeutel“, also Windel, und soll lieb gemeint sein.) Eine Frage, die zum Dauerrepertoire auf unseren Familienfesten gehört, die etwa dreimal im Jahr stattfinden.

Opa hätte da auch schon jemanden für mich im Auge. Den Neffen seiner Pflegerin. Ein ganz anständiger, junger Mann solle das sein, in Litauen wohne er. Er könne da auch ein Treffen arrangieren, wenn ich das nächste Mal da in der Gegend sei. Litauen, klar, bin ich ständig. Überhaupt ist die größte Sorge meiner Familie, dass ich als „alte Jungfer“ ende. Für eine Frau das schlimmste Schicksal. Unabhängig davon, dass wir im 3. Jahrtausend leben.

Bevor mir weitere potenzielle Heiratskandidaten angeraten werden, verschwinde ich zu meiner Mutter in die Küche – wo ich bereits erwartet werde, „die Sahne schlägt sich schließlich nicht von allein“. Bei dieser „Eine-Frau-gehörtan-den Herd-Attitüde“ bin ich jedes Mal sofort auf 180. Vor allem, weil währenddessen mein Bruder seelenruhig im Sessel rumlungern darf, während meine Tante und ich den Tisch decken. Nach dem Essen gönnen sich die männlichen (nur die männlichen, versteht sich) Familienmitglieder ein Schnäpschen, während alle, die weiblich sind, das Geschirr abräumen und die Spülmaschine befüllen. Diese präemanzipatorischen Verhaltensweisen, die mit fragiler Männlichkeit begründet werden, machen mich rasend. Wieso muss ich deren Essensreste wegmachen, während mein Bruder, mein Onkel und mein Opa es nicht mal schaffen, ihre dreckige Gabel auf dem Tell

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