Grenz- Gänge

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Seit ihrer Erstdurchsteigung 1933 wurden in der Nordwand der Großen Zinne immer wieder Marksteine der Felskletterei gesetzt. Selten ohne Kontroverse

Text: Jochen Hemmleb

An der Grenze des damals Möglichen: Kletterei in der Nordwand der Großen Zinne Anfang der 1930er. Ihre Erstdurchsteigung war das Meisterstück von Emilio Comici (Porträt).
FOTOS: LOOKPHOTOS/BASTIAN LINDER, »DIE DOLOMITEN«, VERLAG F. BRUCKMANN, 1934/ARCHIV J. HEMMLEB, LANA

Sie galt einst als Inbegriff der »Unmöglichen«: die 550 Meter hohe, mauerglatte Nordwand der Großen Zinne. »Jeder, der die Wand einmal gesehen, ist sich darüber klar, dass die absolute Steilheit der buchstäblich senkrechten, ja zum Teil überhängenden Wand kein Gegenstück in den Ostalpen besitzt. Dazu tritt noch die völlige Ungegliedertheit, welche die Wand so unheimlich erscheinen lässt. Auch ein berggewohntes Auge kann keinen Riss, kein Band, keinen Pfeiler in dieser Wand entdecken.« So beschreibt es ein Dolomiten-Buch aus dem Bruckmann-Verlag Anfang der 1930er-Jahre.

Ab 1929 versuchte sich die Crème de la Crème der ostalpinen Felskletterer an dem Problem: Walter Stösser, Hans Steger und Paula Wiesinger, Attilo Tissi, Raffaele Carlesso, Sepp Schintlmeister. Nur im rechten Wandteil, wo die gelbgraue überhängende Zone am niedrigsten ist, sahen sie eine Chance. Doch nach kaum 100 Metern waren alle mit ihren Künsten am Ende. Dann betrat der Triester Emilio Comici (1901–1940) die vertikale Bühne. Bei seinem ersten Versuch 1932 mit Renato Zanutti arbeitete er sich im glatten Fels weitere 35 Meter höher – Freikletterei im damals höchsten Schwierigkeitsgrad (VI). Giuseppe Dimai, Ignazio Dibona und Giuseppe Ghedina aus Cortina d’Ampezzo kamen im folgenden Jahr nochmals 45 Meter weiter. Dimai und Dibona taten sich schließlich mit Comici zusammen und stiegen am 13. August 1933 abermals in die Wand ein. Nach einem Überhang half nur noch technische Kletterei weiter. »Das Ringen mit dem Berg wurde hier zum gefährlichsten, verwegensten und ausgeklügelsten, das man sich denken kann«, erinnert sich Comici. »Die Haken drangen nur einen Zoll tief ein. Man klettert nicht mehr auf dem Fels, sondern auf vier Steigbügeln. Ich habe Stunden gebraucht, um nur wenige Meter voranzukommen. In diesen Augenblicken hält man sogar den Atem an, weil man sich selbst vortäuschen möchte, dass man dann leichter wird.« Ein letzter Quergang und sie wären aus der steilen Wandzone – doch nun versagten Comicis Arme ihren Dienst. Dimai übernahm den Vorstieg und schaffte den Ausstieg auf eine Terrasse, wo die drei biwakierten. Am näch

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