Wer in Italiens Mitte in die Abruzzen aufbricht, trifft auf Außergewöhnliches. Unterwegs in Nationalparks mit wilden, alpinen Naturlandschaften und historischen Dörfern
Text: Andrea Strauß Fotos: Andreas Strauß Vogelgezwitscher und Meerblick - Andrea Strauß war begeistert von Gran Sasso und Majella in den italienischen Abruzzen. Auch ohne Wolfssichtung
Die Nachtigall ist´s, nicht die Lerche«, behauptet Julia. »Es ist die Lerche«, widerspricht Romeo. Einer der wenigen Momente, in dem sich Shakespeares Allzeit-Traumpaar nicht einig wird. Während heute wohl in erster Linie die fehlende ornithologische Kenntnis Schuld wäre, liegt es bei den beiden eher daran, was sie hören wollen und ob Julia ihren Romeo schon aus dem Bett lässt.
Zur Zeit der Dämmerung wird am Campo Imperatore im Herzen der Abruzzen das große Morgenkonzert
gegeben, da zirpt und zilpt und pfeift es in den Blumenwiesen hundertfach. Später
am Tag pausieren die Musiker. Seinen Reiz hat das riesige Hochplateau unter dem Gran
Sasso aber immer noch. Ein Meer an Blumen wächst hier. Manche Rarität ist darunter,
aber auch für Laien sind die Rispen der rosafarbenen Orchideen, die weißen Sterne
der Anemonen und der bunte Farbteppich der Bodendecker wunderbar anzusehen. Ein liebliches
Gebirge sind Gran Sasso & Co. trotzdem nicht, auch wenn die Blumenwiesen in der mittleren
Lage diesen Anschein erwecken könnten. Sobald man den Anstieg auf den höchsten Gipfel
der Abruzzen, den Corno Grande (2912 m), startet, wird es offensichtlich: Wir sind
in den Bergen, und die sind wild, mit Felsgraten und Wänden. Mit einer kleinen roten
Biwakschachtel auf einem Felsabsatz im alpinen Nirgendwo, sogar mit einem Gletscherrest
- dem südlichsten in Europa -, mit Fernblick zur Adria und Tiefblick auf das über
tausend Meter unterhalb liegende Hochplateau des Campo Imperatore.
Die schönsten Orte Italiens
Die Mongolei Italiens wird das Hochplateau genannt, ein von italienischer Begeisterungsfähigkeit geprägter Kosename. Mit 80 Quadratkilometern ist der Campo Imperatore noch nicht die Mongolei, aber doch groß genug, dass der Titel nachvollziehbar ist. Im Sommer zwitschern hier die Lerchen, es weiden wilde Pferde, an den Rändern laden Dörfer zum Besuch ein, in denen man sich um Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte zurückversetzt fühlt: Castel del Monte, Santa Stefano, Calascio. Die beiden ersten gehören zu den »Borghi piu belli«, den schönsten Orten Italiens, während Calascio nicht minder schön ist und mit der Burganlage Rocca Calascio nicht nur Kinderherzen höherschlagen lässt.
1