Geschichten aus vergangenen Zeiten
Anna Wyrubowa
Es geschah schnell. Wie es sich bei Unglücken oft zuträgt. Am 2. Januar 1915 reiste Anna Wyrubowa (1884-1964) mit dem Zug nach St. Petersburg.
Sie kam aus Zarskoje Selo, wo die royale Familie residierte. Anna war nämlich die Hofdame und Vertraute von Zarin Alexandra (1872-1918).
Es war schon Abend im russischen Winter, als die Passagierin einen „ohrenbetäubenden Krach“ vernahm. Anna wurde nach vorn geschleudert. Das Abteil sprang aus dem Gleis und zerbrach „wie eine Eierschale“. So berichtete die Hofdame später. Doch ihre Erinnerung war bruchstückhaft. Denn Anna Wyrubowa war schwer verletzt. Ein Arzt sagte nach der Bergung: „Sie liegt im Sterben.“ Die Patientin wurde nach Zarskoje Selo gebracht, wo Alexandra und Zar Nikolaus II. (1868-1918) an ihr Bett eilten. Und da war noch jemand. Eine unheimliche Präsenz.
Die Hofdame erliegt Rasputins Charisma
„Später, ich weiß nicht mehr genau wann, öffnete ich meine Augen“, schrieb Wyrubowa in ihren Memoiren. „Und neben meinem Bett sah ich die große, hagere Gestalt von Rasputin.“
Der Wandermönch Grigori Rasputin (1869-1916) war 1907 an den Zarenhof gekommen, um die Bluterkrankheit des Thronfolgers Alexei (19041918) mit Gebeten zu lindern. Ob Wyrubowa es war, die den Mystiker einführte, ist umstritten. Fest steht, dass sie seinem Charisma erlag – wie so viele hochgestellte Damen. Die Hofdame diente als Zuträgerin zwischen Rasputin und der Zarin. Das vergrößerte ihren Einfluss bei Hofe – trug ihr aber den Hass der Öffentlichkeit ein, die in Rasputin und seiner Clique ein nationales Übel erblickte.
Wyrubowa war auch die erste, der man am im Dezember 1916 das mysteriöse Verschwinden des Wunderheilers mitteilte. Bald stellte sich heraus, dass Rasputin am Vorabend einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war: Seine Leiche wurde aus einem Kanal geborgen.
Wyrubowa sollte die Russische Revolution überleben, der die Zarenfamilie zum Opfer fie
