FASS MICH (NICHT) AN!

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Das Berührungsverbot während Corona hat uns womöglich noch scheuer gemacht – dennoch sehnen wir uns nach Berührung. Sie ist im wahrsten Sinn des Wortes lebenswichtig. Wie können wir uns auf achtsame und heilsame Weise berühren, im Yoga und auch sonst im Leben?

FOTOS: OLGA DRACH/UNSPLASH, INARA PRUSAKOVA & EKATERINAR/SHUTTERSTOCK

Es gibt Berührungen, die vergisst man sein Leben lang nicht. Georg spricht noch mit über 50 davon, wie seine Oma ihm als kleiner Junge zärtlich den schmerzenden Bauch gerieben hat. Marie musste weinen, als ihre Yogalehrerin ihr nach einem langen Ausbildungstag einen Moment lang die Hand auf die Stirn legte. Nicht zu fest, nicht zu leicht, ganz ohne Ziel und Erwartung und dennoch sooo liebevoll. Genau so, dachte Marie damals, will ich berührt werden – in meinem Innersten angerührt. Sicher erinnerst auch du dich an solche Momente: eine tröstliche Umarmung, eine ermutigende Hand auf deiner Schulter, der feste Griff einer kleinen Babyhand um deinen Finger, ein erster Kuss oder eine heilsame Massage. Aber natürlich sind da auch die anderen Erinnerungen: die unsympathische Frau, die sich Hüfte an Hüfte neben dich auf die Bank setzt, das als Versehen getarnte Grapschen eines Fremden im vollgestopften Bus, Momente, in denen deine Grenzen übertreten wurden, kleine und große Verletzungen.

Ob eine Berührung als angenehm erlebt wird, als heilsam und beglückend oder aber als Übergriff und schlimmstenfalls sogar als Trauma – es hängt zuallererst davon ab, dass wir einverstanden mit ihr sind. Dass wir wissen: Hier bin ich sicher. Denn die Hand, die uns streichelt, der Arm, der uns hält, kann auch zuschlagen. Das ist unser Dilemma: Wenn wir die nährende, heilende Kraft von Berührungen erleben möchten, müssen wir uns für sie öffnen – und das macht uns immer auch verletzbar. Deswegen schützen wir instinktiv unseren Nahraum und lassen nur Menschen in ihn, denen wir vertrauen. Doch wem vertrauen wir und warum, beziehungsweise warum nicht?

Historisch gesehen waren wir noch nie so sicher vor Übergriffen und Gewalt wie hier und heute. Nicht nur werden die Gesetze immer umfassender, auch das gesellschaftliche Bewusstsein hat sich stark gewandelt: Wir reklamieren und genießen unser Recht auf Unversehr theit und Selbstbestimmtheit, besonders auch als Frauen und mit Blick auf unsere Kinder. Zugleich sind wir aber offenbar scheuer und ängstlicher denn je, bleiben immer mehr auf Abstand. Nie gab es so viel Abgrenzung, so viele Singles, so viel Einsamkeit – und im Gegenzug auch nie so viele Angebote für Massagen, Kosmetik, Körpertherapie. Denn dass wir bei aller Scheu Berührung notwendig brauchen, das verstehen wir heute auch aus wissenschaftlicher Sicht sehr viel besser als noch vor 20 Jahren:

BERÜHRUNG – EIN LEBENSMITTEL