Herzbuben, Systemwut und ein erster Riss in der Mauer

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ERINNERUNG

Ein Blick zurück auf den Frühlingsanfang des Schicksalsjahres 1989, der erahnen lässt, dass vieles in Bewegung gekommen ist…

Die Leipziger „Herzbuben“ mit ihrem Sänger Sebastian Krumbiegel (2.v.l.) bei ihrem Auftritt in der beliebten DDR-Unterhaltungssendung „Showkolade“

Der Potsdamer Platz in Berlin, kurz zuvor noch eine menschenleere Öde mit ein paar Kriegsruinen im Schatten der Berliner Mauer, ist im März 1989 plötzlich rappelvoll. Weil sie seit Anfang 1989 reisen dürfen, machen sich täglich Tausende Polen in Zügen nach West-Berlin auf und bieten auf dem dort rasend schnell entstandenen „Polenmarkt“ allerlei preisgünstige Schmuggelwaren an, die sich bei den West-Berlinern großer Beliebtheit erfreuen. Das Ost-West-Spektakel ist ein erster kleiner Riss in der Berliner Mauer und gibt einen Vorgeschmack auf das bunte Treiben in Berlin nach dem Mauerfall - aber das kann damals natürlich noch keiner ahnen.

Von der Reisefreiheit, die die Polen nun genießen, können die DDR-Bürger im März 1989 nur träumen. Einige - wie Mauerflüchtling Winfried Freudenberg (siehe rechts) – riskieren sogar ihr Leben, um wegzukommen. Auch die politische Gängelung und das Dauersiechtum der Wirtschaft nährt die Systemwut, die am Montag, dem 13. März 1989, in Leipzig die ersten „Montagsdemonstranten“ auf die Straße treibt. Rund 600 Menschen wagen sich nach den „Friedensgebeten“ in der Nikolaikirche, die schon seit 1982 regelmäßig stattfinden, zu einer Demonstration auf die Straße. Es ist gerade Leipziger Messe, viele westliche Geschäftsleute und Westjournalisten sind in der Stadt. Deswegen halten sich Stasi und Polizei weitgehend zurück und lassen die Demonstranten gewähren. Die stets klamme DDR ist dringend auf die gut gehenden Exportgeschäfte mit dem Westen angewiesen. Schlechte Presse dort – in diesem Fall Fotos und Filmaufnahmen von Demonstranten, die von Stasi-Leuten verhaftet werden - versucht SED-Chef Erich Honecker nach Möglichkeit zu vermeiden. Erst im Januar hatte er nach einer ähnlichen Protestaktion aus demselben Grund zuvor verhaftete Oppositionelle schnell wieder laufen lassen. Die große wirtschaftliche Abhängigkeit der DDR-Wirtschaft vom Westen ist neben der ebenfalls großen Unzufriedenheit vieler Bürger die Achillesferse des SED-Regimes.

8. März 1989 Winfried Freudenberg, 32 Jahre alt, aus Osterwieck im Harz, will mit einem selbst gebauten Ballon flüchten. Schon über West-Berlin verliert er die Kontrolle über das Gefährt und stürzt aus großer Höhe in den Tod
Anders als DDR-Bürger dürfen polnische Bürger schon seit Anfang 1989 frei reisen. Auf dem „Polenmarkt“ in West-Berlin verkaufen sie mitgebrachte Lebensmittel, Zigaretten, Alkohol und – zum Ärger vieler

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