Ein Nervengift als Antidepressivum?

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Was die Zornesfalten glättet, soll gleichzeitig die Stimmung heben: Botulinumtoxin, das Gift eines Bakteriums. Einige Ärzte sind sogar davon überzeugt, dass Botox gegen Depressionen hilft – es gibt aber auch Kritiker.

VON SINA HORSTHEMKE

IHOR BULYHIN / GETTY IMAGES / ISTOCK

Auf einen Blick: Glatt und glücklich

1 Botox glättet die Zornesfalten zwischen den Augen – und lässt Depressionen gleich mit verschwinden. Viele Studien scheinen dies zu belegen. Allerdings ist unklar, woran das liegt.

2 Laut der Facial-Feedback-Theorie kann niemand negativ empfinden, der nicht entsprechend düster dreinschauen kann. Womöglich wirkt Botox aber auch direkt auf das Gehirn und die Amygdala.

3 Kritiker werfen ein, dass das Vertrauen in Botox als Antidepressivum verfrüht ist. So seien etwa die Kontrollbedingungen in Studien ungeeignet und die gemessenen Effekte künstlich aufgebläht.

UNSERE AUTORIN Sina Horsthemke ist Diplombiologin und arbeitet als Medizinjournalistin in München.

Vor knapp 20 Jahren machte Eric Finzi in seiner Praxis eine Entdeckung. In seinem gerade gegründeten Chavy Chase Cosmetic Center in Maryland behandelte der US-Dermatologe Hautprobleme aller Art. Er verschrieb Cremes gegen Ekzeme, vereiste Warzen und entfernte Muttermale. Er untersuchte Akne, verödete Besenreiser, straffte Haut und Schlupflider. Und er glättete Falten mit Botox. Bald fiel Finzi etwas auf: Wann immer er Botox ins Gesicht seiner Klienten injiziert hatte, verschwanden nicht nur die Sorgenfalten, sondern die Sorgen gleich mit. Botox, schloss Finzi erstaunt, schien die Emotionen zu beeinflussen.

Der Arzt ging der Sache nach und suchte in seiner Kartei nach Patientinnen und Patienten mit Depressionen. Er holte die Psychologin Erika Wassermann mit ins Boot, die die Betroffenen vor und nach einer Botox-Behandlung zu ihrer Stimmung befragte. 2006 veröffentlichte das Duo schließlich eine Fallstudie, die Fachleute aufhorchen ließ: »Zehn depressive Patienten wurden mit Botulinumtoxin A behandelt«, heißt es darin. »Neun von zehn waren zwei Monate nach der Behandlung nicht mehr depressiv. Beim zehnten Patienten verbesserte sich die Stimmung.« Hatte Finzi ein neues Antidepressivum entdeckt?

Botox ist eigentlich ein Markenname, ähnlich wie Tempo oder Uhu, aber längst im alltäglichen Sprachgebrauch verankert. Abgeleitet ist er von Botulinumtoxin A – ein Protein, das von dem Bakterium Clostridium botulinum produziert wird. Vermehrt sich die Mikrobe zum Beispiel in konservierten Lebensmitteln und produziert darin ihr Gift, kann dieses den so genannten Botulismus verursachen. Die Krankheit geht mit Seh-, Schluckstörungen und Lähmungen einher, denn Botulinum ist ein Nervengift. Es bewirkt, dass Botenstoffe, die normalerweise Informationen von Nerven- an Muskelzellen übertragen, nicht mehr freigesetzt werden können. Die Muske

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