So verändern Psychopharmaka das Gehirn

10 min lesen

Die meisten Medikamente gegen psychische Störungen greifen in den Hirnstoffwechsel ein. Was das langfristig mit unserem Denkorgan anstellt, ist bei vielen dieser Arzneien unklar.

UNSER AUTOR Janosch Deeg ist promovierter Physiker und Wissenschaftsjournalist in Heidelberg.

Im Jahr 1953 kam in Europa mit Chlorpromazin das erste Antipsychotikum auf den Markt. Ärztinnen und Ärzten stand damit fortan ein Medikament zur Verfügung, das die so genannten Positivsymptome von Schizophrenie deutlich linderte. Zu ihnen zählen Denkstörungen, Halluzinationen und Realitätsverlust bis hin zum Wahn. Die erfolgreiche Behandlung eröffnete jedoch eine neue Frage, nämlich: Sollten Patienten den Wirkstoff weiter einnehmen, nachdem sie die Beschwerden in den Griff bekommen hatten? Untersuchungen dazu ergaben, was noch immer in Lehrbüchern steht. Personen, die das Medikament absetzten, erlitten demnach mehr als doppelt so häufig Rückfälle als jene, die es langfristig weiternutzten. Ähnlich sieht es bei neueren Antipsychotika aus, die heute vorrangig eingesetzt werden. Folgerichtig empfehlen Leitlinien zur Behandlung von Schizophrenie eine kontinuierliche Medikamentengabe, um erneute Psychosen zu vermeiden.

Was eine solche Therapie langfristig mit dem Gehirn der Behandelten macht, ist aber bis heute nicht ausreichend untersucht. Dabei greifen die Neuroleptika – wie auch Antidepressiva und andere Psychopharmaka – in den neuronalen Stoffwechsel ein und stoßen so eine Vielzahl von Prozessen an. Der Neuropharmakologe Manfred Gerlach, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie e. V. gibt eine ernüchternde Einschätzung ab: Es mangle an robusten Daten dazu, wie sich das Gehirn mit der Zeit an die Medikamente anpasst und welche unerwünschten Effekte das hat. Diesen Missstand führt er vor allem auf die kurze Laufzeit von Zulassungsstudien zurück. Sie dauern üblicherweise zwischen sechs Wochen und maximal sechs Monaten. »Um gesicherte Daten zu Langzeitnebenwirkungen zu erhalten, müssten Studien über mehrere Jahre durchgeführt werden«, ergänzt er. Es wäre aber sehr teuer und aufwändig, solche Untersuchungen in der nötigen Qualität und Größe aufzuziehen. Das sei mit ein Grund dafür, dass die Pharmaindustrie sie nicht durchführe. Hinzu kommt, dass jahrelange Doppelblindstudien – bei denen Studienteilnehmende in der Kontrollgruppe gar keinen Wirkstoff erhalten – aus ethischen Gründen kaum möglich sind.

SOLIDCOLOURS / GETTY IMAGES / ISTOCK

Auf einen Blick: Unbekannte Risiken und Nebenwirkungen

1 Die meisten Psychopharmaka beeinflussen die neuronale Kommunikation, indem sie auf Botenstoffe oder ihre Rezeptoren im synaptischen Spalt einwirken.

2 Klinische Studien untersuchen nur kurzfristige Effekte solcher Veränderungen. Doch mit der Zeit kann sich das

Dieser Artikel ist erschienen in...

Ähnliche Artikel

Ähnliche Artikel