Tinnitus im Ansatz bekämpfen

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Ein neueres Tinnitusmodell geht davon aus, dass der störende Fiepton als Nebeneffekt einer Anpassung an einen Hörschaden entsteht. Zugleich weist es auf viel versprechende Ansatzpunkte für Therapien hin.

VON ACHIM SCHILLING UND PATRICK KRAUSS

TOWFIQU AHAMED / GETTY IMAGES / ISTOCK TOWFIQU AHAMED / GETTY IMAGES / ISTOCK

Manchen von Ihnen wird das bekannt vorkommen: Kaum nimmt der Stress zu, dringt ein penetrantes Geräusch, das nur Sie wahrnehmen, in Ihr Bewusstsein vor – der Tinnitus, der Sie schon seit Jahren belastet. Etwa zwölf Prozent aller Menschen in Deutschland leiden irgendwann darunter. Knapp zwei Prozent der Bevölkerung entwickeln sogar einen besonders starken Tinnitus, bei dem es zu mehreren zusätzlichen Beschwerden wie Konzentrationsstörungen und Depressionen kommt.

Bereits in der Antike unternahmen Menschen verzweifelte Versuche, das Pfeifen zu bekämpfen. So wollte zum Beispiel Plinius der Ältere (23–79 n. Chr.) Tinnitus mit in Honig gekochten Haselmäusen zum Verstummen bringen. Doch auch spätere, weniger kuriose Ansätze liefern Betroffenen bis heute keine ausreichende Linderung. In den vergangenen Jahren rückte das Phänomen weiter in den Fokus der medizinischen Forschung. Die Mühen brachten schon mehrere Durchbrüche. Auf der einen Seite wird immer deutlicher, wie mehrere Faktoren dazu beitragen, dass Tinnitus entsteht und chronisch wird. Andererseits tun sich langsam Möglichkeiten auf, um diesen Prozessen entgegenzuwirken.

In der Mehrheit der Fälle tritt Tinnitus zusammen mit einem weiteren, sehr unangenehmen Symptom auf: Betroffene reagieren überempfindlich auf mittellaute Töne, was man als »Hyperakusis« bezeichnet. Etwa acht von zehn Menschen mit einem stark ausgeprägten Tinnitus leiden darunter. Viele Fachleute sind sich mittlerweile einig, dass man die beiden Phänomene nicht als voneinander unabhängig betrachten kann. Zudem geht die Mehrheit der Experten und Expertinnen davon aus, dass Tinnitus in den allermeisten Fällen mit einer Form von (mitunter verstecktem) Hörverlust einhergeht.

Vor ein paar Jahren hat unsere Arbeitsgruppe ein Modell entwickelt, das schlüssig erklärt, wie Tinnitus entstehen könnte (siehe Gehirn&Geist 8/2019, S. 66). Kurz gesagt basiert es auf der Idee, dass unser Gehirn versucht, etwaige Hörschäden auszugleichen, indem es ein Hintergrundrauschen in die Hörbahn einspeist. Das dient dazu, eingehende Signale über die Hörschwelle zu heben und somit die Geräuschwahrnehmung zu verbessern. Das penetrante Pfeifen ist demnach der unerwünscht

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