Vorkammer des Denkens

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Lange hielt man den Thalamus für eine simple Zwischenstation auf dem Verarbeitungsweg der Sinnesinformationen. Doch vermutlich wären viele Denkprozesse ohne ihn nicht möglich.

VON FRANK LUERWEG

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Eine wesentliche Funktion des Gehirns ist die Fähigkeit, uns auf das zu konzentrieren, was gerade wichtig ist, und Irrelevantes auszublenden. Ihr verdanken wir, dass wir uns im Restaurant angeregt mit unserem Gegenüber unterhalten können, ohne mitzubekommen, was die Leute am Nebentisch gerade bereden. Aber auch, dass wir auf dem Spielplatz sofort die rote Wollmütze erkennen, die der eigene Nachwuchs trägt.

Über unsere Sinne strömen Unmengen von Informationen auf uns ein. Die Kapazität des Gehirns reicht nicht aus, sie alle zu verarbeiten. Es muss daher ständig priorisieren. Früher dachte man, die Hirnrinde sei dafür verantwortlich, vor allem der präfrontale Kortex (PFC), eine Region im Stirnlappen. Der PFC entsendet unter anderem Verbindungen in jene Zentren in der Großhirnrinde, die fürs Hören oder Sehen zuständig sind. Man nahm an, er weise diese Gebiete an, worauf sie besonders zu achten haben.

Eine andere Struktur scheint dafür wohl ebenso wichtig zu sein – der Thalamus. Er liegt nicht im Großhirn, sondern im entwicklungsgeschichtlich viel älteren Zwischenhirn, mitten im Zentrum unseres Denkorgans. Er ähnelt einem liegenden Hühnerei; allerdings ist er mit etwa vier Zentimeter Länge etwas kleiner. Seine Bedeutung wurde lange unterschätzt. In den vergangenen 20 Jahren hat sich das jedoch radikal geändert. Heute glaubt man, dass der Thalamus eine Schlüsselrolle bei dem spielt, was wir »Denken« nennen.

Seinen Namen verdankt er dem berühmten griechischen Arzt Galenos von Pergamon. Dieser beschrieb im 2. Jahrhundert n. Chr. eine Art Kammer im Gehirn (»Thalamus« bedeutet Schlafgemach oder Zimmer). Es ist umstritten, ob seine Entdeckung mit jener Struktur identisch ist, die heute den Namen trägt. Danach verschwand die Bezeichnung für rund 1400 Jahre in der Versenkung. Erst Anfang des 17. Jahrhunderts wurde sie von dem französischen Arzt Jean Riolan wiederbelebt. Wie der Thalamus im Detail aufgebaut ist oder wofür er zuständig sein könnte, wusste man damals noch nicht.

Gut 100 Jahre später entdeckte man, dass sich Gewebe mit Hilfe von hochprozentigem Alkohol fixieren und härten lässt. Dadurch ließ es sich mit Spezialmessern in hauchdünne Scheibchen schneiden und unter den immer leistungsstärkeren Mikroskopen untersuchen. »Zu diesem technologische

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