DAS LEBEN stets neuSUCHEN

4 min lesen

Für die Autorin bot NATIONAL GEOGRAPHIC in der Kindheit ein Tor zu den unendlichen Weiten der Welt. Es lieferte auch eine Inspiration für ihr neues Buch.

Text TARA CONKLIN Illustration DADU SHIN

PERSPEKTIVE

BEVOR ER AN DIE UNI GING,arbeitete mein Vater auf einem Frachtschiff, das ihn in die Sowjetunion, nach Dänemark, Finnland, Großbritannien und Frankreich brachte. Als kleines Kind saß ich oft neben ihm auf dem Sofa, einen Bildband oder NATIONAL GEOGRAPHIC auf dem Schoß, betrachtete die Fotos von fernen Orten und Menschen und hörte ihm zu, wenn er von seinen eigenen Reisen erzählte. Am besten gefielen mir Bilder, die Geschichten erzählten, wie das Bild einer tibetanischen Hirtin, deren leuchtend farbige Kleidung sich von einem kahlen Hintergrund abhebt; Harriet Tubmans grimmiger Blick in einem Artikel über die Underground Railroad; oder Dorothea Langes ikonisches Bild einer Migrant Mother. Jedes dieser Bilder deutete eine gewisse Intimität an, einen Einblick in das einzigartige, geheimnisvolle Innenleben eines anderen Menschen. In meiner Erinnerung vermischen sich die Fotos und die Geschichten meines Vaters. Habe ich ein Bild von der Hängebrücke über den Sambesi gesehen, oder hat mir mein Vater erzählt, wie er sie überquert hat? Hat mein Vater einen Japanmakaken gesehen, oder haben wir ein Foto dieses außergewöhnlichen Tieres mit den traurigen Augen angeschaut?

Geschichten zu erzählen, sollte zu meinem Lebensinhalt werden. Die Bilder gaben mir das Gefühl, Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein. Wir sind alle miteinander verbunden, dachte ich. Wir sind alle auf der Suche nach den gleichen wesentlichen Dingen: Liebe, Geborgenheit, Familie, Glück.

30 Jahre, nachdem ich das Foto von Harriet Tubman gesehen hatte, schrieb ich meinen ersten Roman „The House Girl“, der von der Underground Railroad handelte und ein Überraschungserfolg wurde. Mitten im Corona-Lockdown begann ich „Community Board“, meinen dritten Roman. Er handelt von einer jungen Frau, die sich in ihr Elternhaus im winterlichen Neuengland zurückzieht, wo sie einen unerwarteten Verlust verarbeitet und ihren Weg zurück ins Leben findet. Als ich meine Figur Darcy erschuf, dachte ich an die längst vergangenen Nachmittage zu Hause auf dem Sofa.

ICH WUCHS IN EINERKleinstadt im Westen von Massachusetts auf, wo der Schnee meterhoch lag und wir im Sommer Himbeeren vom Strauch aßen. Es war ein wunderschöner, friedlicher Ort.

Aber die Geschichten meines Vaters hatten in mir den Samen des Fernwehs gepflanzt, der schnell un

Dieser Artikel ist erschienen in...

Ähnliche Artikel

Ähnliche Artikel