Der blinde Passagier

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EINGESCHLEPPTE PILZE ERWEISENSICH ALS ENORM ANPASSUNGSFÄHIG. WELCHE FOLGENHAT IHRE VERBREITUNG FÜR DAS NEUE ÖKOSYSTEM?

Text SARAH GIBBENS Fotos AGORASTOS PAPATSANIS

Erstes Kapitel

LACCARIA AMETHYSTINADer faszinierend gefärbte Hut des Violetten Lacktrichterlings lenkt davon ab, dass diese Schönheit dazu neigt, große Mengen giftiges Arsen anzureichern.

ANNE PRINGLE INSPIZIERTE gerade Pilze auf einem Feld nördlich von San Francisco, als sie sich in einer misslichen Lage wiederfand. Sie stand mitten in einem Meer von einem der giftigsten Pilze der Welt: Amanita phalloides, dem Grünen Knollenblätterpilz, der vielsagend auch „Grüner Mörder“ genannt wird. „Ich konnte keinen Schritt tun, ohne draufzutreten“, sagt Pringle, „ein Tal des Todes.“

Das ist 20 Jahren her. Damals forschte Pringle, heute Mykologin an der University of Wisconsin-Madison, in Berkeley. Es kursierte das Gerücht, dass der Giftpilz trotz seiner weiten Verbreitung nicht von der kalifornischen Goldküste stammte. Sechs Jahre und etliche DNA-Sequenzierungen später gelang Pringle der Nachweis, dass der Grüne Knollenblätterpilz tatsächlich ein Eindringling war – eine Pilzart, die ursprünglich wohl in Europa beheimatet war.

Grüne Knollenblätterpilze sind weltweit für die meisten Pilzvergiftungen verantwortlich. Der Wulstling, durchschnittlich zwölf Zentimeter hoch mit einem zumeist blass gelbgrünen Hut, kann leicht mit einer essbaren Art verwechselt werden. Seine starken Toxine greifen den menschlichen Körper bereits sechs Stunden nach dem Verzehr an und verursachen zunächst heftige Brechdurchfälle, ehe die Phase der schweren Leberschädigung beginnt. Immer wieder sterben Menschen nach dem Verzehr auch nur von Teilen der Fruchtkörper, zuletzt traf es im August 2023 drei Menschen in Australien.

Grüne Knollenblätterpilze sind Mykorrhizapilze, aus dem Griechischen mykes für Pilz und rhiza für Wurzel. Verborgen in der Erde bilden sie ein Gewebe aus feinsten Zellfäden, den Hyphen, die den Boden durchdringen sowie die Wurzeln zahlreicher Bäume umwachsen und miteinander verknüpfen. Zwischen den Fäden fließen elektrische Impulse, und die Symbiosepartner verständigen sich über chemische Botenstoffe.

Das äußerst komplexe Netzwerk, das Mycel, fasziniert und beunruhigt Wissenschaftler gleichermaßen. Wir wüssten noch viel zu wenig über das Pilzreich, das alle Kontinente durchzieht, sagt Pringle, und darüber, was genau vonstatten geht, wenn die Netzwerke neue Synapsen bilden. Seit unsere Welt sich zunehmend vernet

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