AUGE ins ALL

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Rechtzeitig zur Sonnenfinsternis hat das Yerkes-Observatorium bei Chicago mit dem weltgrößten Linsenteleskop wieder für Besucher geöffnet.

TextBILL NEWCOTT

VOR ORT

FotosCHRISTIE HEMM KLOK

UNTER DER KUPPEL des Yerkes-Observatoriums, am Ufer des Lake Geneva in Williams Bay, Wisconsin, herrscht noch immer das Jahr 1897. Der liebevoll polierte Große Refraktor dominiert die bewegliche Halbkugel aus Metall – ein 18 Meter langes, sechs Tonnen schweres Linsenfernrohr, dessen Objektiv aus zwei Linsen mit einem Durchmesser von 102 Zentimentern besteht. Das Gerät wirkt auf fast lächerliche Weise fantastisch. Will ein Astronom oder Besucher durch das Okular blicken, bedient ein Mitarbeiter einen Schalter, und der kreisförmige Boden des Baus – mit 23 Meter Durchmesser einer der größten Aufzüge der Welt – hebt sich um sieben Meter. Dann verschiebt der Betrachter in einem Manöver, das jedem Hobbyastronomen bekannt vorkommen wird, das massive, tadellos ausbalancierte Teleskop mit beiden Händen in die gewünschte Richtung.

Ironischerweise sind die Wartungskosten für diese Lowtech-Mechanik astronomisch hoch. Aus dem Grund wäre das Observatorium beinahe der Abrissbirne zum Opfer gefallen, nachdem dessen Betreiber, die University of Chicago, es im Jahr 2018 geschlossen hatte.

Yerkes gilt als Geburtsstätte der modernen Astrophysik. Doch als ich die Anlage vor etwa zwei Jahren besuchte, sah sie bemitleidenswert aus. Das Teleskop war in dicke, undurchsichtige Plastikfolien gehüllt. Ein demütigender Zustand für ein Präzisionsgerät, das einst die Elite der Astrophysiker und theoretischen Astronomen angezogen hatte, darunter Albert Einstein, Edwin Hubble, Gerard Kuiper und Carl Sagan.

Die Rettung kam, als eine gemeinnützige Organisation das Gebäude im Jahr 2020 übernahm, Spenden sammelte und es innen wie außen für 15 Millionen Dollar renovierte. Nun ist das Observatorium – einschließlich des 20 Hektar großen Geländes – erstmals seit 100 Jahren für tägliche Führungen geöffnet. Am 8. April, dem Tag der totalen Sonnenfinsternis über Nordamerika, erwarten die Yerkes-Mitarbeiter gar einen der geschäftigsten Tage seiner Geschichte. In Williams Bay wird die Abdeckung der Sonne 90,2 Prozent betragen. Und es gibt keinen Ort im weiten Umkreis, der sich besser eignen würde, dem Phänomen beizuwohnen, als an dieser geschichtsträchtigen Kuppel.

Auch das Gebäude selbst ist einen Besuch wert. Es ist gespickt mit Steinmetzarbeiten aus viktorianischer Zeit, romanischen Bögen und Terrakotta-Figuren. Geplan

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