NEUES BILD DER MAYA

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ÜBER JAHRHUNDERTE LAG DIE WELT DER MAYA VERBORGEN UNTER DEM BLÄTTERDACH DES REGENWALDS. JETZT BRINGT EINE NEUE TECHNOLOGIE DIE GRÖSSE UND KOMPLEXITÄT DER ALTEN ZIVILISATION ZUM VORSCHEIN.

TextTOM CLYNESFotosRUBÉN SALGADO ESCUDERO

DIE BEIDEN ARCHÄOLOGEN hatten zusammengenommen mehrere Jahrzehnte in den Urwäldern Mittelamerikas verbracht. Drückende Hitze und Schwüle, dazu Begegnungen mit gefährlichen Tieren und bewaffneten Plünderern waren untrennbar mit der Entdeckung der Schätze der Maya verbunden, deren Zivilisation ein paar Tausend Jahre lang florierte und dann auf mysteriöse Weise im dichten Urwald verschwand. Daher erscheint es geradezu paradox – um nicht zu sagen unfair –, dass ihre größte Entdeckung ausgerechnet vor einem Computer in einem klimatisierten Büro in New Orleans stattfinden sollte.

Unter den Blicken seines Kollegen Francisco Estrada-Belli öffnete Marcello Canuto von der Tulane University das Luftbild eines Waldstücks im Norden Guatemalas. Anfangs waren auf dem Monitor nur Baumkronen zu sehen. Doch die Aufnahme war mit der Lidar-Technologie (Abkürzung für „Light Detection and Ranging“) erstellt worden. Dabei wird an einem Flugzeug ein Scanner installiert, der beim Flug ein Bündel von Laserstrahlen Richtung Boden schickt. Der Scanner empfängt die von dort reflektierten Signale und erstellt ein detailliertes Höhenprofil des Bodens, in diesem Fall des Urwaldbodens. Canuto entfernte mit ein paar Tastenklicks die Baumkronen digital von den Aufnahmen und machte so die Strukturen sichtbar, die das dichte Blätterdach verborgen hatte. Die Region, die sie betrachteten, lag weit entfernt von jeglichen Bevölkerungszentren. Man hatte sie für weitgehend unbewohnt gehalten, selbst während der Blütezeit der Maya-Zivilisation vor mehr als 1100 Jahren.

Mit den Laserscans zeigte sich plötzlich, dass das, was wie natürliche Bodenunebenheiten gewirkt hatte, tatsächlich Wasserspeicher, Terrassenfelder und Bewässerungskanäle waren. Was sie für kleine Berge gehalten hatten, entpuppte sich als große, von Zeremonialbauten gekrönte Pyramiden. Siedlungen, die Generationen von Archäologen als regionale Hauptstädte eingestuft hatten, waren in Wirklichkeit nur die Vororte ungleich größerer präkolumbischer Metropolen, die über befestigte, erhöhte Straßen miteinander verbunden waren. Niemand hatte etwas von ihrer Existenz geahnt.

„Ich glaube, wir fühlten uns in etwa so wie die Astronomen, die zum ersten Mal durch das Hubble-Weltraumteleskop blickten und sahen, dass es in all den vermeintlich l

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