DÄMMER ZONE

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TIEF UNTER DER MEERESOBERFLÄCHE LEBEN BIZARRE KREATUREN IN FAST VÖLLIGER FINSTERNIS. WELCHEN EINFLUSS HABEN SIE AUF DEN LEBENSRAUM OZEAN?

TEXT HELEN SCALES FOTOS DAVID LIITTSCHWAGER

Der etwa 30 Zentimeter lange Pazifische Viperfisch (Chauliodus macouni) jagt nachts an der Meeresoberfläche. Er fängt seine Beute mit einem furchterregenden „Käfig“ nadelartiger Zähne.

AN DECK EINES FORSCHUNGSSCHIFFES in der kalifornischen Monterey Bay blickt die Zoologin Karen Osborn in einen Kühlbehälter voll schwappenden Seewassers. Die seltsamen Kreaturen, die darin zucken, wurden nur wenige Sekunden zuvor aus einem Netz gefischt, das in etwa 450 Meter Tiefe durch eine Zone fast totaler Finsternis geschleppt worden war. „Ein guter Fang“, sagt Osborn.

Ein etwa handtellergroßer, rubinrot schimmernder Tintenfisch sticht hervor. Der Erdbeerkalmar, so heißt die Art, ist gut an seinen Lebensraum angepasst. In der fast lichtlosen Tiefe wird seine rote Haut zu einem bräunlichen Schwarz, das mit der Umgebung verschmilzt. Gelegentlich glimmt Biolumineszenz über seinen Körper, die Feinde abschrecken soll. Erdbeerkalmare können in zwei Richtungen gleichzeitig sehen: Eines ihrer Augen ist groß und gelb. Es blickt nach oben und erkennt vorüberziehende Silhouetten. Das andere, klein und blau, blickt in die Tiefe und hält in der Dunkelheit Ausschau nach aufschimmernder Beute. Das gefangene Exemplar ist erstaunlich unberührt. „Normalerweise sind sie völlig zerkratzt“, sagt Osborn. Vermutlich ist der Erdbeerkalmar erst kurz vor dem Hinaufziehen ins Netz geraten.

Karen Osborn ist Spezialistin für wirbellose Tiere am Smithsonian Institution’s National Museum of Natural History in Washington, D.C. Sie erforscht die fantastischen Bewohner des Mesopelagial, der sogenannten Dämmerzone des Ozeans in Tiefen zwischen 200 und 1000 Metern. In den letzten 25 Jahren hat Osborn diese Zone mit ferngesteuerten Kamerarobotern erforscht und an Tiefsee-U-Boot-Expeditionen teilgenommen. Sie hat unter anderem mitentdeckt, wie Fische in der Dämmerzone ihre Haut intensiv schwarz färben und wie die Körper der Flohkrebsgattung Cystisoma so transparent sein können, dass sie fast nicht zu sehen sind.

Die Erkundung der schwer zugänglichen Dämmerzone ist naturgemäß teuer. Sie nimmt ein Fünftel des Gesamtvolumens des Ozeans ein und ist größtenteils fast unerforscht. Die Zone beginnt in einer Tiefe, in der die Photosynthese aussetzt, und endet mit den letzten Resten des Sonnenlichts. Für einen Menschen im Tauchboot wirkt es hier stockdunkel.


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