Hoch hinaus

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AUF EINER TOUR DURCH DAS ATLAS-GEBIRGE ENTDECKEN WANDERER MAROKKO VON SEINER URSPRÜNGLICHEN SEITE.

TEXT BEN LERWILLFOTOS JONATHAN STOKES

NATIONAL GEOGRAPHIC JG. 26, NR. 2

Eine Wandergruppe folgt einem Pfad im Azzadene-Tal. Die Hänge sind mit Wacholderbäumen bewachsen.

ES IST KURZ NACH HALB FÜNF, und der erste Gebetsruf des Tages verbreitet sich über die Berge. Die Dämmerung hängt über dem Ait-Mizane-Tal, wo ein Dutzend Dörfer an den kargen Hängen verstreut liegen. Jedes hat eine kleine Moschee und einen Muezzin, der früh aufsteht, um seine Gebetsformeln in die Morgenluft zu senden. Zwölf Stimmen schallen aus zwölf Minarett-Lautsprechern und erfüllen das Tal mit Gesang.

In Marokko sind Entfernungen auf der Landkarte manchmal irreführend. Das Tal ist nur knapp 65 Kilometer von Marrakesch entfernt, doch es könnte genauso gut auf einem anderen Planeten liegen. Im Hauptort Imlil liegt der Duft von frisch gebackenem Fladenbrot in der Luft. Binnen zwei Minuten ist man vom Café zum Bergbach geschlendert, wo der Blick zu den zerklüfteten Bergkämmen hoch über den Besuchern wandert. Die Staus und Schlangenbeschwörer der Stadt scheinen weit entfernt.

Ich bin hier, um zu wandern. Das Ait-Mizane-Tal liegt zwischen den Gipfeln des Hohen Atlas, jenes mächtigen Gebirgsgürtels, der sich über 560 Kilometer durch Marokko zieht. Es ist Juni, und die oberen Hänge sind trocken und braun, während weiter unten üppige Walnussbäume wachsen. Bergspitzen prägen das Bild, auf einigen liegt noch Schnee. „Der lokale Name für den Hohen Atlas ist Idraren Draren“, sagt mein durchtrainierter Wanderführer Abdul Toudaoui und zieht den Reißverschluss seines Rucksacks zu. „Es bedeutet ‚Gebirge der Berge‘. Die Menschen dachten einst, es sei das größte der Welt.“

Abduls lockere Art ist beruhigend. In den nächsten Tagen wird er mich und eine kleine Gruppe auf eine Rundwanderung mitnehmen, entlang alter Hirtenpfade und über eine Reihe von Pässen, alle mehr als 2200 Meter hoch. Abdul kennt die Berge hier besser als die meisten. „Ich habe den Gipfel des Jbel Toubkal zum ersten Mal erreicht, als ich 15 war“, sagt er und zeigt auf die gezackte Bergspitze. Mit 4167 Metern ist der Jbel Toubkal der höchste Berg Nordafrikas. „Mit meinem älteren Bruder. Es war hart, aber sehr besonders. Seitdem war ich viele Male oben.“

Das Tal ist, wie der Rest des Hohen Atlas, fast ausschließlich von den Amazigh bewohnt. Außenstehende bezeichnen sie oft als „Berber“, aber Abdul hört diesen Namen ni

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