LOS, GEHEN WIR SPIELEN!

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SPIELEN IST KINDERKRAM, GLAUBEN ERWACHSENE GERNE. EIN IRRTUM: SCHEINBAR ZIELLOSES TUN IST FÜR UNSERE ART ÜBERLEBENSWICHTIG.

TEXT SADIE DINGFELDER

AN JENEM DEZEMBERMORGEN hatte ein Schneesturm Washington über Nacht verwandelt. Die National Mall mit ihren Denkmälern glich einer Mondlandschaft; das Kapitol schien wie ein Schloss auf Wolken zu schweben. In meine wärmste Kleidung gepackt, lief ich hinaus – jetzt einen Schneemann bauen! Doch so sehr ich mich bemühte, die Kugel wollte nicht wachsen. Frustriert ließ ich mich in den Schnee fallen. Als ich so mit weit ausgestreckten Armen und Beinen dalag, kam mir die nächste Idee: Rudernd malte ich einen Schneeengel ins glitzernde Weiß. Plötzlich bemerkte ich, dass ich Zuschauer hatte – ein Paar stand da, Coffee-to-go in den Händen, Missbilligung im Blick. Ich errötete vor Scham. Bestimmt fragten die zwei sich: Hat die nichts Besseres zu tun?

Eine Frau mittleren Alters, die selbstvergessen alleine im Schnee spielt, wirkt seltsam. Dabei ist uns der Spieltrieb angeboren, und der scheinbar sinnlose Zeitvertreib scheint evolutionär gesehen durchaus sinnvoll zu sein. Trotzdem unterdrücken wir modernen Erwachsenen unseren natürlichen Spieltrieb. Das schafft allerhand Probleme – für uns selbst, für unsere Kinder, letzten Endes für unseren Planeten.

„Das Gegenteil von Spiel ist nicht Arbeit, sondern eine Depression“, sagt Stuart Brown, Psychiater und Spielforscher. „Der Mangel an Verspieltheit unter Erwachsenen entwickelt sich zu einer Krise der öffentlichen Gesundheit.“

Spielen mag trivial wirken, doch tatsächlich scheint es für die Gesundheit von Säugetieren, vielleicht sogar aller Wirbeltiere genauso wichtig zu sein wie Schlaf. Im vergangenen Sommer fanden Wissenschaftler heraus, dass der Spieltrieb seinen Ursprung im Stammhirn hat, genauer im periaquäduktalen Grau, auch „zentrales Höhlengrau“ genannt. Es ist eines der evolutionär ältesten Teile unseres Nervensystems. Man kann einer Ratte die gesamte Großhirnrinde entfernen – sie wird trotzdem spielen wollen. Viele junge Tiere lernen im Spiel, ihren Körper und ihre Umgebung zu verstehen. Im adulten Stadium hören die meisten damit auf. Einige Tierarten spielen allerdings weiter: Wölfe, Krähen, Delfine, Affen und andere Primaten, auch wir Menschen. Biologen verstehen erst allmählich, warum.

Spielerisches Verhalten scheint den Weg für wichtige Entdeckungen und Erfahrungen zu bereiten. Die Tierforscherin Camilla Cenni stellte für ihre Doktorarbeit an der kanadischen Un

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