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Im Jahr 2000 lernt Fotograf Jon Lowenstein eine couragierte mexikanische Einwanderin kennen: Guadalupe, kurz „Lupe“, lebt damals mit ihrer Familie in einem Problemviertel von Chicago. Lowenstein wird Ehrenmitglied der Familie und begleitet sie seitdem durch gute wie auch schwere Zeiten. Der Schriftsteller Luis Alberto Urrea nahm an einer Familienfeier teil und erinnerte sich seiner eigenen familiären Wurzeln.

HEUTE IST DIE GEBURTSTAGSFEIER einer der Mütter. Zwei Kuchen, Folienluftballons, Frauen in der Küche, die Männer noch in der Arbeit. Kinder und Enkelkinder, Nichten und Neffen, die durch den Flur rennen und auf den Sofas herumhüpfen. Ihr Lachen dringt bis nach draußen.

Das Haus in der Prärie von Illinois steht auf dem Gemeinschaftsland indigener Völker. Ojibwa, Potawatomi und Odawa haben hier ihre Wurzeln. Einst mag die zweispurige Landstraße ein holpriger Wagenpfad gewesen sein, ein unbefestigter Weg, auf dem Pilger und Landstreicher westwärts zogen.

Draußen, auf der anderen Straßenseite, wogt ein Meer von Maisstängeln unter der sinkenden orangefarbenen Sonne. Auf ihrem langen Pfeiler erwacht die einzige Straßenlaterne zum Leben und lässt die Maiskolben in ihrem Lichtkegel leuchten. Krähen fliegen zu den herbstlich gefärbten Bäumen, den nahe gelegenen Silos und Scheunen. Kühe muhen schwermütig in der Ferne. Hunde bellen.

Neben dem Haus stehen Landmaschinen. Im Garten hinter einem Sichtschutzzaun gibt es einen Pool und einen kleinen Spielplatz. Allerdings traut sich niemand dorthin, denn der Wachhund beißt jeden, der durch das Tor tritt. Bis auf die Großmutter, die zu Besuch weilt. Sie scheint eine Hundeflüsterin zu sein. Außerdem besitzt sie das Ehrfurcht gebietende Auftreten einer Kaiserin.

Im Haus steht immer Kaffee bereit, für jeden Reisenden, jeden, der arbeitet. Die Tür ist allzeit offen. In der Küche kocht Doña Rosa für ihre Tochter Gabriela („Gaby“) und Gabys Mann Salvador („Chava“). Chava ist noch bei der Arbeit, er leitet ein Team von Landschaftsgärtnern. Doña Rosa ist mit dem Flugzeug aus Acapulco angereist, um Gabys Geburtstag zu feiern.

Immer mehr Leute treffen ein, die Einfahrt füllt sich mit Pick-ups und Minivans. Jon Lowenstein, der Fotograf, führt mich ins Haus. Ich fühle mich unbehaglich, weil ich in ihre Feier eindringe, aber Lowenstein lässt sich durch nichts aufhalten. Er scheint de facto ein Familienmitglied zu sein.

„Hola, Jon“, erklingen Stimmen aus der Küche. Er fotografiert die Familie seit zwanzig Jahren, begle

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