DAS GRAB IM EIS

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Ein NatGeo-Team folgte der Route, die John Franklin mit den Schiffen Erebus und Terror auf der Suche nach der Nordwestpassage genommen hatte. Spuren der verschollenen Männer finden sich bis heute. Doch die Arktis wahrt ihre Geheimnisse.

TEXT MARK SYNNOTT FOTOS RENAN OZTURK

Von der Mastspitze der Polar Sun aus sah Renan Ozturk auf die kanadische Pasley Bay. Gemeinsam mit dem Autor Mark Synnott versuchte er, die Nordwestpassage zu durchsegeln, als ihr Boot in einem Labyrinth aus Eisschollen eingeschlossen wurde. Der bevorstehende Winter drohte sie in der Arktis festzusetzen – so wie die Franklin-Expedition.

WO WAR DER EISBÄR? Jacob Keanik ließ sein Fernglas über das Eisfeld wandern, das unser Segelboot umgab. Er hielt Ausschau nach dem Tier, das uns während der letzten 24 Stunden gefolgt war. Alles, was er sehen konnte, war ein Teppich aus blau-grünem Packeis, der sich bis zum Horizont erstreckte. „Der Winter naht“, murmelte er. Jacob hatte nie „Game of Thrones“ gesehen und keine Ahnung, dass dieser Satz in der Fantasy-Serie die bedrohlichen Horden von Eiszombies ankündigt. Für uns war die Gefahr durch diese realen „Eis-Horden“ nicht geringer. Hier, in der abgelegenen Pasley Bay, tief in der kanadischen Arktis, würde der Winter Eismassen bringen, die mit Leichtigkeit Boote zerquetschten – auch unseres, wenn wir nicht bald einen Weg hinaus fanden. Es war Ende August, und wir hatten uns vor einem heftigen Sturm in diese Bucht geflüchtet. Mehr als eine Woche lang hatte der Wind mächtige Eisbrocken von der Polkappe herangetrieben.

Dieses schwimmende Mosaik trieb jetzt um unser Boot, jede Scholle ein Torpedo, der unseren Fiberglasrumpf durchbohren konnte. So hielten wir rund um die Uhr abwechselnd Wache, um mit langen Holzstangen stetig das Eis vom Schiff wegzuschieben. Aus einem Tag wurden zwei, aus zweien drei, und das Eis zog sich allmählich wie ein Schraubstock zusammen. Als wir am neunten Tag aufwachten und das Wasser zwischen den Schollen gefroren war, schien sicher, dass wir den Winter über hier festsitzen würden. Wäre unsere Lage nicht so prekär gewesen, dann hätte die Ironie der Situation fast witzig sein können.

Mehr als zwei Monate zuvor hatten wir mit einer fünfköpfigen Mannschaft auf meinem Segelboot Polar Sun Maine an der Ostküste der USA verlassen, um der Route des legendären Entdeckers Sir John Franklin zu folgen. Im Mai 1845 hatte er sich von England aus auf die Suche nach der vielbeschworenen Nordwestpassage gemacht. Der Seeweg um die eisige Spitze Nordamerikas sollte eine neue Handelsroute in den Fernen Osten eröffnen. Doch Franklins zwei Schiffe Ere

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