Auf den Spuren der chinesischen Eisenbahnarbeiter
TEXT UND FOTOS PHILIP CHEUNG
2 NATIONAL GEOGRAPHIC FOR FREEDOMS WAS WAR UND WAS BLEIBT
DIE RUINEN VON KELTON in Utah waren die letzte Eisenbahn-Geisterstadt, die ich an diesem Tag besichtigt hatte. Ein Sturm zog auf. Ich betrachtete die Landschaft, die Wolken, den Staub, den der Wind aufwirbelte, und dachte darüber nach, wie das Leben der chinesischen Arbeiter hier vor mehr als 150 Jahren ausgesehen hatte. Tausende Kilometer von ihrer Heimat entfernt hatten sie in dieser Wüstensiedlung Schienen verlegt. In der Nähe liegt ein Friedhof. Außerhalb der Umzäunung suchen freiwillige Helfer mit Hunden nach Überresten, bei denen es sich vermutlich um die Gebeine chinesischer Arbeiter handelt. Chinesen durften nicht am selben Ort begraben werden wie die Weißen. Ich empfand Scham für das Schicksal dieser Menschen, die für Amerika so hart gearbeitet hatten.
Ich wuchs in Toronto, Kanada, auf. Als ich herausfand, dass chinesische Arbeiter beim Bau der kanadischen Eisenbahnen geholfen hatten, wollte ich mehr erfahren. Diese Geschichte ist das Herzstück meines Fotoprojekts: Aus China eingewanderte Arbeiter – 10 000 bis 20 000, je nach Quelle – hatten die schwierigsten und gefährlichsten Abschnitte der transkontinentalen Eisenbahn im Westen der Vereinigten Staaten gebaut. In den Bergen der Sierra Nevada und in der Wüste von Utah waren es vor allem Chinesen, die Tunnel sprengten und Gleise ins Bett hämmerten. Die Geschichte dieser Einwanderer, die im Wortsinn den Grundstein für den nordamerikanischen Eisenbahnverkehr und die wirtschaftliche Expansion des amerikanischen Westens legten, wird heute von Wissenschaftlern, Aktivisten und den Nachfahren der Arbeiter erzählt, unter ihnen Christopher Kumaradjaja, Ururenkel des Central Pacific Railroad-Arbeiters Hung Lai Woh. Noch heute, erzählte mir Kumaradjaja, werde er gefragt, woher er komme. Er sei Amerikaner der fünften Generation, antwortet er dann. Manchmal möchte er ergänzen: Und Sie? ☐