ICH MÖCHTE IHNEN DIE GESCHICHTEN ZEIGEN, MIT DENEN ICH AUFWUCHS.

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DIE KLEINE MEERJUNGFRAU: In dieser Neuinterpretation verwandelt sich die Titelfigur in Mami Wata, eine afrikanische Wassergottheit. In Protestpose steht sie trotzig auf einem Bett aus Seetang, eingerahmt von Kanistern mit verschmutztem Wasser. In solchen Behältnissen wird überlicherweise das lebensnotwendige Trinkwasser transportiert.

Sie stammen aus einer Fernsehsendung namens „Tales by Moonlight“, in der ein Ältester unter einem Baum saß und Geschichten erzählte. Es war die Fernsehversion einer uralten mündlichen Tradition, bei der einst der Vollmond und die Sterne die erwartungsvollen Gesichter von Kindern und Erwachsenen in silbrigblaues Licht tauchten. Manchmal zirpten vielleicht die Grillen, und eine leichte Brise ließ die Blätter der Bäume rascheln.

Ich stamme aus einer Familie von Geschichtenerzählern. Zuhause erzählte mein Vater abends, wie er als kleiner Junge beim Wasserholen fast in einem Brunnen ertrunken wäre, wie er als Medizinstudent vom Blitz getroffen wurde, wie er mitten auf dem Bahnhof mit einem Knüppel gegen den KGB kämpfte, um sich von seiner Freundin zu verabschieden, wie er bewaffneten Räubern entkam … und ach, ich habe sie alle geglaubt. Vielleicht sollten uns diese Geschichten vom wirklichen Leben ablenken, ebenso wie die Stapel von Büchern, in die wir unsere Köpfe vergruben und aus Worten Welten bauten.

Für mich waren Märchen besonders aufregend. Ich liebte diese großen und unmöglichen Geschichten voller Magie und die fantastischen Bilder, die ich vor meinem inneren Auge sah: prächtige Schlösser, kunstvoll bestickte Kleider, Feen, Wälder – und natürlich Schwertkämpfe, Ränke und Blut.

Das fiktionale Grauen zog mich in seinen Bann, während vor unserer Haustür reale Gewalt herrschte. Als ich in den 1990er-Jahren unter der Militärdiktatur aufwuchs, waren ethnische und religiöse Rivalitäten an der Tagesordnung. Ergebnis der „Dschungeljustiz“ waren oft enthauptete und verbrannte Leichen. Der Gestank durchdrang die Straßen, während Kinder zur Schule gingen. Wir hielten uns die Nasen zu und rissen die Augen auf, um alles in uns aufzunehmen.

Als ich älter wurde, brachen mir diese Erinnerungen das Herz. Ich begann, mich mit der Realität meiner Kindheit auseinanderzusetzen und mit dem Schweigen, das darüber herrschte. Warum wurde zu Hause nicht über die Gewalt gesprochen?

Ich wuchs hauptsächlich bei meinem Vater in Aba auf, einer Stadt im Südosten Nigerias. Obwohl er sich stolz als Igbo bezeichnete, führten das Erbe der Kolonialherrschaft und die Üb

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