RÜCKKEHR IN DIE KNOCHENHÖHLE

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EIN JAHRZEHNT NACH DER ENTDECKUNG EINES NEUEN FRÜHMENSCHEN BEGIBT SICH LEE BERGER TIEF IN EIN VERWINKELTES HÖHLENSYSTEM, UM MEHR ÜBER DEN URALTEN MENSCHLICHEN VERWANDTEN ZU ERFAHREN.

Rechts: Fossilien aus dem Rising-Star-Höhlensystem umgeben das Skelett des Frühmenschen Homo naledi.
Angesichts des primitiven Kerns und der dagegen sehr menschenähnlichen Extremitäten „wirkt es, als ob die Evolution uns von außen nach innen formt“, meint der Paläoanthropologe John Hawks.
FOTO: ROBERT CLARK

„ICH DENKE, WIR SOLLTEN die Grabung stoppen“, sagte ich. Ich deutete auf das schemenhafte Bild auf dem Monitor und blickte hinüber zu Keneiloe Molopyane, einer Archäologin und Forensikerin, die in unserem Team den Spitznamen „Bones“ trägt. Per Livestream folgten wir unseren Kolleginnen Marina Elliott und Becca Peixotto. Die beiden Archäologinnen waren mehr als 35 Meter unter uns mit Grabungsarbeiten beschäftigt. Bones beugte sich vor, um auf den Bildschirm zu schauen, während die Lichtkegel der Stirnlampen durch die Kammer wanderten. „Warum aufhören?“, fragte sie.

Das war im November 2018. Wir saßen in der „Kommandozentrale“ unseres Teams im südafrikanischen Rising-Star-Höhlensystem. Es umfasst fast vier Kilometer verschlungener Gänge, die mancherorts über 40 Meter in die Tiefe reichen. Gelegentlich stößt man auf eine Kammer, in der man sitzen oder sogar aufrecht stehen kann, doch die meisten Hohlräume sind relativ klein. Marina und Becca, die Erfahrensten in unserem Ausgräber-Team, waren in einem dieser Räume zugange, in der sogenannten Dinaledi-Kammer.

Die Sedimente in diesen Höhlen waren durch Staub und Geröll entstanden, die sich von den Felswänden gelöst hatten und den Boden in kaum unterscheidbaren Schichten bedeckten. Das Sediment, das Marina und Becca untersuchten, wies jedoch nicht dieselbe Ebenmäßigkeit auf. Es schien auf die eine oder andere Art künstlich verändert. „Es sieht aus, als sei hier ein Loch im Höhlenboden“, sagte ich zu Bones. „Ich glaube nicht, dass das eine natürliche Vertiefung ist. Auf mich wirkt es irgendwie wie ein Bestattungsplatz.“ Also lieber vorsichtig sein.

Bones’ Augen weiteten sich: „Das stimmt.“ Sie betrachtete erneut das Bild auf dem Monitor. „Ich glaube, du hast recht“, sagte sie. „Wir sollten hier abbrechen.“

DAMALS WUSSTE ICH ES NOCH NICHT, doch diese Entscheidung sollte eine wissenschaftliche Offenbarung zur Folge haben – und einige der angstvollsten und zugleich staunenswertesten Momente meines Lebens.

Unsere frühere Arbeit in Dinaledi in den Jahren 2013 und 2014 hatte Erstaunliches


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