LEBEN IN HARMONIE

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DAS STREBEN VON FRAUEN NACH GLEICHHEIT PRÄGTE EIN DORF.

TEXT PAULA RAMON FOTOS LUISA DORR

Bruna Oliveira Fernandes zählt zu den etwa 350 Einwohnern von Noiva do Cordeiro im Südosten Brasiliens. Sie spielt gern mit Hühnern und gibt ihnen Kosenamen. Das Dorf, meist kurz Noiva genannt, wurde Ende des 19. Jahrhunderts gegründet.

DER NAME NOIVA DO CORDEIRO lässt manche Leute gleich an dieses besondere Dorf denken. Hier sollen, so heißt es, die Frauen herrschen: Frauen, die alle jung und schön sind und ihre Männer regelmäßig fortschicken und dann geeignete Männer einladen, um …

Eine schöne Geschichte.

Nichts darin entspricht der Wahrheit, nur der Ort selbst ist real: Noiva do Cordeiro ist ein abgelegenes Dorf im Südosten Brasiliens. Und doch machen seit Jahrzehnten prickelnde Berichte die Runde, einige provozierende Artikel wurden weltweit verbreitet – und sind nun für immer im Internet zu finden.

Fürs Protokoll also: In Noiva leben an die 350 Menschen, unter ihnen ebenso viele Männer wie Frauen. Die meisten Männer sind tatsächlich wochenweise abwesend und arbeiten in einer nahe gelegenen Stadt. Die meisten Frauen arbeiten im Dorf, das die Einwohner gemeinsam verwalten. Die Frauen (jeden Alters) nehmen die Fantasieberichte über ihr Dorf mit Humor. Sie sind stolz auf die wahre Geschichte der Frauen von Noiva – ganz besonders auf die Frauen einer bestimmten Familie.

MARÍA SENHORINHA DE LIMA wuchs im 19. Jahrhundert in Brasilien auf, zu einer Zeit, als das Land tief im Machismo der portugiesischen Kolonialherren und den Dogmen der römisch-katholischen Kirche verwurzelt war. Nach drei Monaten in einer Zwangsehe konnte María mit Chico Fernandes fliehen, dem Mann, den sie liebte. Zur Strafe wurden sie – und vier Generationen ihrer Nachkommen – von der Kirche exkommuniziert. María und Chico ließen sich auf einem Landstück im Bundesstaat Minas Gerais nieder. Immer mehr Menschen schlossen sich ihnen an, darunter auch andere Frauen, die die Kirche verstoßen hatte. Eine Gemeinde entwickelte sich, die von Geschlechtergleichheit und Religionsfreiheit geprägt war.

Doch die Exkommunikation ließ die Familien nicht zur Ruhe kommen. Frauen, die als „Sünderinnen“ gebrandmarkt waren, konnten das Dorf nicht ohne Risiko verlassen. Kinder, die in benachbarten Städten zur Schule gehen wollten, wurden als „Töchter von Prostituierten“ beschimpft. „Es war sehr traurig“, erinnert sich Marcia Fernandes, eine von Marías Nachkommen. Und doch blieb das Dorf jahrzehntelang eine Insel der Toleranz, wo Nonkonformisten und Ausgestoßene willkommen waren.

DAS ÄNDERTE SICH in

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