XXL-Telefonate

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KOLUMNE

Weil sie wie ein warmes, soziales Wannenbad sind

Wow, das hat gutgetan! Über eine Stunde habe ich gerade mit einer Freundin in der Schweiz telefoniert – einfach so. Wir kennen uns seit 15 Jahren, haben uns ewig nicht gesehen, lange nichts gehört. Jetzt bin ich wieder auf dem aktuellen Stand, Familie, Job, Liebe und die nächste anstehende Volksabstimmung in der Schweiz – wir haben alle wichtigen Dinge besprochen.

Ich hatte einfach am frühen Abend spontan ihre Nummer gewählt, weil ich an sie gedacht hatte. Fast ein bisschen kühn, ich weiß. Man ruft Freundinnen und Freunde ja heute nicht mehr so aus heiterem Himmel an, irgendwie ist das aus der Mode gekommen. Drei Viertel der Millennials und Generation Z empfinden, das ergab kürzlich eine US-Studie, Telefonanrufe als unangenehmen Eingriff in ihr Leben. Meine 20-jährige Tochter hat wie alle ihre Freundinnen ihr Handy stets auf stumm gestellt. Wahrscheinlich würde sie bis ins Mark erschrecken, wenn das Ding plötzlich einen Klingelton von sich gäbe. Dafür verschickt man in ihren Kreisen täglich Dutzende atemlose Sprachnachrichten, die irgendwo unterwegs aufgesprochen werden, gerne auch mit Windrauschen, Verkehrslärm oder Kassenscanner-Gepiepse unterlegt.

BARBARA ESSER kombiniert lange Telefonate gerne mit Spaziergängen. Oft bleibt das Gesagte so mit Wegstationen verbunden – und lange in Erinnerung.
FOTO: ANDRE KIRSCH/ANDREKIRSCH.DE

Wir texten, liken, posten und palavern pausenlos per Social Media in alle Himmelsrichtungen. Den Kommunikationsmuskel des ausgiebigen Telefonierens haben wir darüber leider ziemlich verkümmern lassen. Oder bekommen Sie noch viele Anrufe? (Mal abgesehen von aufsässigen Call-Centern, Marktforschungsmitarbeitern oder Abo-Verkäufern). Ich nicht. Schade eigentlich. Denn im Grunde ist das schön: plötzlich die vertraute Stimme eines Menschen am Ohr zu haben, die ohne Vorwarnung in den Alltag flattert wie ein bunter Schmetterling und uns für einen Moment aus diesem herausträgt. Meine Mutter hat das gerne getan, sie klingelte ohne einen Hauch des Zögerns auch am hellerlichten Vormi

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