Experten-Interviews zur aktuellen Geldpolitik der Notenbanken

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Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank

€uro am Sonntag: Die US-Notenbank Fed hat sich angesichts hartnäckiger US-Inflation von raschen Zinssenkungen verabschiedet. Einzelne Notenbanker bringen sogar schon Zinserhöhungen ins Spiel. Was bedeutet das für die Börsen, die auf Zinssenkungen gesetzt haben?

Jörg Krämer: Dass eine US-Leitzinssenkung im Juni vom Tisch ist, kommt nicht von ungefähr. Die US-Verbraucherpreise sind seit Jahresanfang deutlich stärker gestiegen als mit dem Zwei-Prozent-Ziel der Notenbank vereinbar. Darunter haben die Aktienkurse schon gelitten. Aber vermutlich haben die Anleger die schlechten Nachrichten von der Inflationsfront noch nicht vollständig verdaut.

Wann rechnen Sie mit den ersten Zinssenkungen von Fed und EZB?

Die Notenbanker der EZB haben faktisch für Juni die erste Zinssenkung angekündigt. Aus der Nummer kommen sie jetzt nicht mehr raus. Aber die Fed dürfte ihre Leitzinsen wegen des Inflationsproblems in den USA erst im Dezember senken. Der November scheidet wegen der US-Präsidentschaftswahlen als Termin wohl aus.

Wann hat es ein solches Auseinanderdriften der Zinspolitik der Notenbanken gegeben?

Zwischen 2016 und 2019 erhöhte die Fed ihren Leitzins kräftig, ohne dass die EZB folgte.

Funktioniert denn ein solches Abkoppeln? Der Euroraum ist ähnlich groß wie die US-Wirtschaft, und insofern kann sich die EZB von der US-Notenbank abkoppeln.

Wie wirksam sind EZB-Zinssenkungen mit Blick auch auf die erhoffte Konjunkturbelebung, wenn die Fed gleichzeitig restriktiv bleibt?

Das Problem ist nicht die Fed, sondern der Reformstau in Deutschland und anderen Ländern im Euroraum. Das dürfte verhindern, dass die EZB-Zinssenkungen einen starken Konjunkturaufschwung auslösen.

Könnte es auch sein, dass die Konjunkturwirkung der Zinspolitik überschätzt wird?

Für sich genommen beeinflussen die Leitzinsen noch immer die Konjunktur, denken Sie nur an den Absturz, den wir gerade in der deutschen Bauwirtschaft sehen. Das waren die Zinserhöhungen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es neben der Geldpolitik noch andere Faktoren gibt, die die Konjunktur beeinflussen, etwa den oben erwähnten Reformstau.

€uro am Sonntag: Wie beurteilen Sie die neuen Töne der US-Notenbanker zu einer wieder restriktiveren Geldpolitik – könnte es zu größeren Korrekturen an den Börsen kommen?

Hendrik Leber: Die Märkte korrigieren ihre Zinssenkungsfantasien immer weiter herunter, obwohl das Stichwort „higher for longer“ schon lange bekannt ist. Diese Korrektur verläuft in Stufen schon seit einiger Zeit und wird darum meiner Ansicht nach keinen Schock mehr auslösen.

Die EZB steuert dagegen im Juni auf eine erste Leitzinssenkung zu. Welche Folgen hat da

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