Bringen junge helle Galaxien das Standardmodell vom Universum in Erklärungsnot?
von RÜDIGER VAAS
Wir erahnen die Unermesslichkeit unserer Unwissenheit, wenn wir die Unermesslichkeit des Sternenhimmels betrachten“, sagte der Philosoph Karl Popper 1960 in einem Vortrag in London. Das James Webb Space Telescope (JWST) späht seit Mitte 2022 tiefer in diesen unermesslichen Sternenhimmel hinaus als jedes Observatorium zuvor. Es ist so empfindlich, dass es noch Objekte der 31. Helligkeitsklasse ablichten kann – so lichtschwach würde ein Leuchtkäfer im Garten erscheinen, wenn man ihn vom Mond aus betrachten könnte. Und schon bald nach der Inbetriebnahme des neuen Weltraumteleskops wurde deutlich, wie unermesslich die Unwissenheit der Astronomen immer noch ist.
Die JWST-Infrarotaufnahmen vom fernen All zeigen unerwartet viele junge Galaxien. Sie sind sehr hell, sehr reich an Masse, Gas und schweren Elementen sowie sehr aktiv in der Bildung neuer Sterne. Dass es in so großen Entfernungen bereits so viele solcher Urgalaxien gibt, lässt Astronomen rätseln. Es widerspricht den meisten Berechnungen und Vorhersagen im Rahmen des bewährten Standardmodells der Kosmologie.
Schock paarte sich mit heftigen Kontroversen. Es dauerte nicht lange, bis zaudernde oder sogar hämische Nachrufe auf das Standardmodell erschienen. Zunächst tobten die Diskussionen auf den sozialen Medien, die ja längst auch Wissenschaftler zum Meinungsaustausch nutzen – und bisweilen zum Marketing. Populärwissenschaftliche Meldungen griffen das Thema auf und machten Nachrichten daraus, die eigentlich keine waren. Wilde Übertreibungen schlugen Kapriolen, sogar das Ende der Urknall-Theorie wurde verkündet.
Astronomen schrieben unter großem Zeitdruck Artikel und publizierten sie auf Preprint-Servern im Internet. Die einschlägigen Fachzeitschriften haben nicht alle davon akzeptiert. Andere wurden nach eingehender Begutachtung oder redlicher Selbstkritik sowie der Berücksichtigung zusätzlicher Daten revidiert