VERHALTENSFORSCHUNG
Bienen und andere Insekten besitzen weitaus komplexere kognitive Fähigkeiten als bislang gedacht – eine Enthüllung mit weit reichenden ethischen Implikationen.
Während meiner Doktorandenzeit Anfang der 1990er Jahre an der Freien Universität Berlin, in der ich die Evolution der Farbwahrnehmung bei Bienen modellierte, bat ich einmal einen Botanikprofessor wegen einiger Fragen zu Blütenfarbstoffen um Rat. Ich wollte wissen, wie viel Gestaltungsspielraum bei Blumen existieren, um Insekten anzulocken. Ziemlich erregt entgegnete er mir, er würde sich auf keinerlei Diskussionen mit mir einlassen, weil ich in einem neurobiologischen Labor arbeitete, wo man invasive Eingriffe an lebenden Honigbienen vornahm. Der Professor war überzeugt, dass Insekten Schmerzen empfinden können. Ich weiß noch, wie ich kopfschüttelnd sein Büro verließ und dachte, der Mann hätte den Verstand verloren.
Damals standen meine Ansichten im Einklang mit dem wissenschaftlichen Mainstream: Schmerz stelle eine bewusste Erfahrung dar, und Bewusstsein – wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seinerzeit annahmen – sei ausschließlich uns Menschen vorbehalten. Heute allerdings, nach jahrzehntelanger Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Wahrnehmung und Intelligenz von Bienen, frage ich mich, ob der Berliner Botanikprofessor nicht vielleicht doch Recht hatte.
Inzwischen ist nachgewiesen, dass Bienen und einige andere Insekten zu intelligenten Verhaltensweisen fähig sind, die zu meiner Studienzeit niemand für möglich gehalten hätte. So können Bienen zählen, Konzepte von Gleichartigkeit und Verschiedenheit erfassen oder komplexe Tätigkeiten durch das Beobachten von Artgenossinnen erlernen; und sie kennen sogar ihre eigenen, individuellen Körpermaße – eine Fähigkeit, die normalerweise mit menschlichem Bewusstsein in Verbindung gebracht wird. Darüber hinaus scheinen sie sowohl Freude als auch Schmerz zu verspüren. Mit anderen Worten: Es sieht mittlerweile so aus, als ob zumindest einige Insektenarten –